Sonntag, 1. April 2012

Wir sind dann mal weg!

Nach knappen zwei Jahren und einer intensiven Diskussion im Team wird mit dieser Mitteilung LeuphanaWatch eingestellt.

Der Watchblog für die Leuphana Universität Lüneburg startete wenige Monate nach den europaweiten Protesten der Studenten für eine bessere Bildung. LeuphanaWatch verstand sich von Anfang an als Plattform für eine kritische Begleitung der Entwicklung der Hochschullandschaft und der Veränderungen an der Leuphana Universität Lüneburg im Besonderen. Diese Kommunikationsplattform ist, was Reichweite und Themensetzung angeht, ein Erfolgsprojekt. Ohne größere Eigenwerbung stiegen die Zugriffszahlen über den Zeitraum beständig. Doch damit wurden wir auch Teil des „Systems Leuphana.“ LeuphanaWatch diente immer mehr als Kanal für die geäußerte Kritik. Diese umfängliche Kritik hat dazu beigetragen, die Leuphana Universität Lüneburg zu dem zu machen, was sie heute ist. Das gilt im Positiven wie im Negativen.

Die für uns entscheidenden Fragen lauten: Kann Kritik helfen, ein System zu stabilisieren? Hilft unsere Arbeit, Leuphana zu stabilisieren? Um eine Antwort darauf zu finden ist zentral, welche Funktionen die über LeuphanaWatch geäußerte Kritik derzeit in Bezug auf die Leuphana Universität Lüneburg erfüllt.

1) LeuphanaWatch entschärft heikle Punkte
Kritik weist frühzeitig auf Themen hin, die sich für das Gesamtkonzept Leuphana Universität Lüneburg zu einem Problem entwickeln könnten. Die Forderungen der kritischen Geister werden teils aufgegriffen. Aber dabei werden sie um ihren Kern beraubt und in das System eingebaut, gegen welches sie sich eigentlich wenden. Die Kritik verhindert dadurch die schlimmsten Auswüchse einer Ideologie, bevor diese sich in ihrer Summe unübersehbar zu einem unhaltbaren Zustand verdichten. Sie ermöglicht ein Nachsteuern in Details und ein strategisches Lernen durch das Präsidium, bevor die Qualität und Quantität der Zumutungen die Akzeptanz des Gesamtkonstruktes insgesamt zerstören.

2) LeuphanaWatch bezeugt Pluralität
Intern und extern entsteht der Eindruck, es gebe eine inhaltliche Diskussion innerhalb der Leuphana Universität Lüneburg über den richtigen Kurs, über zentrale Grundsatzfragen. Die "lebhafte Demokratie" lässt aber nur vermeintlich grüßen. Es gibt sie längst nicht mehr. Nur noch einige wenige Einzelpersonen sind verblieben, die über unwichtige Detailfragen hinaus klar und kritisch Stellung beziehen. Die Leuphana Universität Lüneburg rühmt sich gleichzeitig damit, einen offenen Diskurs zu führen, Engagement zu fördern. Die vorgebliche Pluralität stärkt das Präsidium. Und sie entkräftet gleichzeitig die Kritik derer, die auf zunehmende Vereinheitlichung und Verarmung des Diskurses warnend hinweisen. Die vermeintliche Akzeptanz der Vielfalt, wie sie z.B. die Existenz von LeuphanaWatch ausstrahlt, verbirgt diese hässliche Fratze. Dabei gerät in der leuphanisierten Institution längst zum Staatsfeind Nr. 1, wer grundlegende Veränderungen am ideologischen Konzept einfordert.

3) LeuphanaWatch beruhigt das Gewissen seiner Leser
Wer heute noch an der Leuphana Universität Lüneburg arbeitet, hat sich längst zwischen Dienst nach Vorschrift als Symbol der Ablehnung und dem Arrangement mit der derzeitigen Konzeption eingeordnet. Wen dann doch Gewissensbisse plagen, für den gibt es eine Lösung. Er kann sich schnell bestätigen lassen, dass andere ja schon etwas tun. Dass die eigenen Zweifel nicht unbegründet sind. LeuphanaWatch zeigt, dass es immer noch Widerstandsnester gibt. Das eigene Risiko wird durch das Abtauchen aus der internen wie externen Debatte minimiert. Jeder Einzelne kann sich zurück lehnen, das eigene Outing bleibt verzichtbar. Unser Team aber wollte Kritiker unterstützen, nicht deren Aufgaben übernehmen.

Unbeabsichtigt erfüllen wir eine Aufgabe, die nicht mit unseren Zielen vereinbar ist. Dem stehen keine ausreichenden inhaltlichen Erfolge gegenüber. Sicherlich, fast ganz Lüneburg und halb Niedersachsen rümpfen mindestens die Nase, wenn sie den Namen Holm Keller hören. Private Geschäfte, ein nicht immer geschicktes Auftreten und zuletzt ein Korruptionsverdacht haben ihre Spuren hinterlassen. An anderen Hochschulen im Land gilt das Lüneburger Führungspersonal schon jetzt wahlweise als Witznummer oder Absurdität. Wenn man solche Effekte außen vor lässt, sieht die Bilanz kritischer Arbeit düster aus.

In der ersten Amtszeit von Präsident Spoun sind viele Veränderungen gekommen. Beispielhaft seinen hier ein neues Studienmodell, der Zentralcampus mit einem Leuchtturm, die Binnenorganisation, die Neuausrichtung mit vier Initiativen und natürlich die Marke "Leuphana" genannt. Zu all diesen Veränderungen hagelte es Kritik. Eine den örtlichen Gegebenheiten angepasste Strategie konnte oft nicht erkannt werden. Jedoch hat in all diesen Punkten die Kritik nicht dazu geführt, dass sich die Entwicklungsrichtung verändert hat. Vielmehr wurden die einzelnen Maßnahmen in Detailfragen verbessert. So wird das neue Zentralgebäude z.B. jetzt ein ganz ansehnliches Energiekonzept vorzeigen. Wie mit einem Gelände ohne weitere Entwicklungsflächen umzugehen ist, ist aber viel zu unumstritten. Damit auch, ob dieses Zentralgebäude in seiner geplanten Form tatsächlich zukunftsweisend ist? Grundlegende Fragen werden übersehen, wenn das Augenmerk nur noch auf die Ausrichtung der Dächer und die entsprechenden Flächen für Solarzellen gerichtet wird. In anderen Fällen ist es nicht anders, Detailfragen verstellen den Blick aufs große Ganze.

Und darum muss es gehen: Die durch Prof. (HSG) Dr. Sascha Spoun und Holm Keller angestoßenen Veränderungen basieren auf einem grundlegend anderen Menschenbild. Laut diesem müssen Studenten zu ihrem Glück gezwungen werden (um nachher die Gesellschaft retten zu können) und Wissenschaftler durch umfangreiche Reglementierung und Kontrolle in Forschung und Lehre getrieben werden (zu Weltruhm). Wer dieses Menschenbild adaptiert, kann damit auch die Veränderungen als notwendige Bausteine nachvollziehen. Wem dieses Menschenbild fremd ist werden die viel gepriesenen Verbesserungen jedoch ein Schritt in die völlig falsche Richtung sein.

Was hat die Kritik der letzten Jahre also erreicht?

Eine Hochschulleitung, die fester im Sattel sitzt als je zuvor (die Angst vor dem universitären Exitus lässt grüßen). Sie hat ihre Ziele durchsetzen können und in zentralen Fragen keine Abstriche hinnehmen müssen. Mit dem entsprechenden Druck wurde alles erreicht. Die Institution ist nun fast vollständig leuphanisiert. Die Studentenschaft hat komplett durchgewechselt. Es gibt unzähliges neues Personal, welches jeweils kein lokales Wissen und keinen Erfahrungsschatz mit dem Leitungspersonal hat. Auch fehlt oft die Unabhängigkeit, um Grundsatzkritik zu äußern - befristete Verträge und finanzielle Abhängigkeiten sind die Stichpunkte. Die Gremien sind fast vollständig um Kritiker bereinigt, der ASTA auf "Dialogkurs", die Verwaltung umgekrempelt und in Schlüsselpositionen mit Gefolgsleuten besetzt. Bis auf Einzelpersonen scheint niemand mehr grundsätzliche Fragen aufzuwerfen.

Und dann wäre da noch LeuphanaWatch. Unser Team legt den Finger in offene Wunden und prangert Missstände an. Ein letzter Außenposten, auf den sich kritische Geister zurückgezogen haben. Uns gelingt es nicht, quasi nebenbei die oft angemahnten, ausgefeilten Alternativkonzepte vorzulegen. Aber wir zeigen auf, wo Handlungsbedarf besteht - immerhin. Keine Frage, damit kommen wir an. Unter den im letzten Jahr durchschnittlich 500-600 Besuchern täglich sympathisiert sicherlich ein größerer Teil mit unseren Positionen. Wir werden gelesen, sind öffentlich wahrnehmbar.

Ab heute möchten wir nicht länger als stabilisierendes Korrektiv und zugleich Feigenblatt bereitstehen. Mit unserem Schritt möchten wir einen ungeschönten Blick ermöglichen. Auf eine Institution, die sich im aktuellen "Bildungsmarkt" einigermaßen passabel, zumindest aber Aufsehen erregend schlägt. Aber die sich gleichzeitig des Kerns dessen entledigt hat, was Universität ausmachen sollte: der Förderung des freien, kritischen und von ökonomischen Zwängen losgelösten Denkens über selbstkonstruierte Grenzen hinaus. Zum Wohle der Allgemeinheit und nicht einzelner Interessen(gruppen) versteht sich.

Wir danken allen Lesern und Kommentatoren, die uns in den vergangenen Monaten die Treue gehalten haben. Das gesamte Team von LeuphanaWatch wünscht Euch und Ihnen für die Zukunft alles Gute. Der Universität in Lüneburg und ihren Mitgliedern wünschen wir die richtigen Erkenntnisse und den Mut, eigene Konsequenzen daraus zu ziehen.

Wir sind dann mal weg!