Sonntag, 1. April 2012

Wir sind dann mal weg!

Nach knappen zwei Jahren und einer intensiven Diskussion im Team wird mit dieser Mitteilung LeuphanaWatch eingestellt.

Der Watchblog für die Leuphana Universität Lüneburg startete wenige Monate nach den europaweiten Protesten der Studenten für eine bessere Bildung. LeuphanaWatch verstand sich von Anfang an als Plattform für eine kritische Begleitung der Entwicklung der Hochschullandschaft und der Veränderungen an der Leuphana Universität Lüneburg im Besonderen. Diese Kommunikationsplattform ist, was Reichweite und Themensetzung angeht, ein Erfolgsprojekt. Ohne größere Eigenwerbung stiegen die Zugriffszahlen über den Zeitraum beständig. Doch damit wurden wir auch Teil des „Systems Leuphana.“ LeuphanaWatch diente immer mehr als Kanal für die geäußerte Kritik. Diese umfängliche Kritik hat dazu beigetragen, die Leuphana Universität Lüneburg zu dem zu machen, was sie heute ist. Das gilt im Positiven wie im Negativen.

Die für uns entscheidenden Fragen lauten: Kann Kritik helfen, ein System zu stabilisieren? Hilft unsere Arbeit, Leuphana zu stabilisieren? Um eine Antwort darauf zu finden ist zentral, welche Funktionen die über LeuphanaWatch geäußerte Kritik derzeit in Bezug auf die Leuphana Universität Lüneburg erfüllt.

1) LeuphanaWatch entschärft heikle Punkte
Kritik weist frühzeitig auf Themen hin, die sich für das Gesamtkonzept Leuphana Universität Lüneburg zu einem Problem entwickeln könnten. Die Forderungen der kritischen Geister werden teils aufgegriffen. Aber dabei werden sie um ihren Kern beraubt und in das System eingebaut, gegen welches sie sich eigentlich wenden. Die Kritik verhindert dadurch die schlimmsten Auswüchse einer Ideologie, bevor diese sich in ihrer Summe unübersehbar zu einem unhaltbaren Zustand verdichten. Sie ermöglicht ein Nachsteuern in Details und ein strategisches Lernen durch das Präsidium, bevor die Qualität und Quantität der Zumutungen die Akzeptanz des Gesamtkonstruktes insgesamt zerstören.

2) LeuphanaWatch bezeugt Pluralität
Intern und extern entsteht der Eindruck, es gebe eine inhaltliche Diskussion innerhalb der Leuphana Universität Lüneburg über den richtigen Kurs, über zentrale Grundsatzfragen. Die "lebhafte Demokratie" lässt aber nur vermeintlich grüßen. Es gibt sie längst nicht mehr. Nur noch einige wenige Einzelpersonen sind verblieben, die über unwichtige Detailfragen hinaus klar und kritisch Stellung beziehen. Die Leuphana Universität Lüneburg rühmt sich gleichzeitig damit, einen offenen Diskurs zu führen, Engagement zu fördern. Die vorgebliche Pluralität stärkt das Präsidium. Und sie entkräftet gleichzeitig die Kritik derer, die auf zunehmende Vereinheitlichung und Verarmung des Diskurses warnend hinweisen. Die vermeintliche Akzeptanz der Vielfalt, wie sie z.B. die Existenz von LeuphanaWatch ausstrahlt, verbirgt diese hässliche Fratze. Dabei gerät in der leuphanisierten Institution längst zum Staatsfeind Nr. 1, wer grundlegende Veränderungen am ideologischen Konzept einfordert.

3) LeuphanaWatch beruhigt das Gewissen seiner Leser
Wer heute noch an der Leuphana Universität Lüneburg arbeitet, hat sich längst zwischen Dienst nach Vorschrift als Symbol der Ablehnung und dem Arrangement mit der derzeitigen Konzeption eingeordnet. Wen dann doch Gewissensbisse plagen, für den gibt es eine Lösung. Er kann sich schnell bestätigen lassen, dass andere ja schon etwas tun. Dass die eigenen Zweifel nicht unbegründet sind. LeuphanaWatch zeigt, dass es immer noch Widerstandsnester gibt. Das eigene Risiko wird durch das Abtauchen aus der internen wie externen Debatte minimiert. Jeder Einzelne kann sich zurück lehnen, das eigene Outing bleibt verzichtbar. Unser Team aber wollte Kritiker unterstützen, nicht deren Aufgaben übernehmen.

Unbeabsichtigt erfüllen wir eine Aufgabe, die nicht mit unseren Zielen vereinbar ist. Dem stehen keine ausreichenden inhaltlichen Erfolge gegenüber. Sicherlich, fast ganz Lüneburg und halb Niedersachsen rümpfen mindestens die Nase, wenn sie den Namen Holm Keller hören. Private Geschäfte, ein nicht immer geschicktes Auftreten und zuletzt ein Korruptionsverdacht haben ihre Spuren hinterlassen. An anderen Hochschulen im Land gilt das Lüneburger Führungspersonal schon jetzt wahlweise als Witznummer oder Absurdität. Wenn man solche Effekte außen vor lässt, sieht die Bilanz kritischer Arbeit düster aus.

In der ersten Amtszeit von Präsident Spoun sind viele Veränderungen gekommen. Beispielhaft seinen hier ein neues Studienmodell, der Zentralcampus mit einem Leuchtturm, die Binnenorganisation, die Neuausrichtung mit vier Initiativen und natürlich die Marke "Leuphana" genannt. Zu all diesen Veränderungen hagelte es Kritik. Eine den örtlichen Gegebenheiten angepasste Strategie konnte oft nicht erkannt werden. Jedoch hat in all diesen Punkten die Kritik nicht dazu geführt, dass sich die Entwicklungsrichtung verändert hat. Vielmehr wurden die einzelnen Maßnahmen in Detailfragen verbessert. So wird das neue Zentralgebäude z.B. jetzt ein ganz ansehnliches Energiekonzept vorzeigen. Wie mit einem Gelände ohne weitere Entwicklungsflächen umzugehen ist, ist aber viel zu unumstritten. Damit auch, ob dieses Zentralgebäude in seiner geplanten Form tatsächlich zukunftsweisend ist? Grundlegende Fragen werden übersehen, wenn das Augenmerk nur noch auf die Ausrichtung der Dächer und die entsprechenden Flächen für Solarzellen gerichtet wird. In anderen Fällen ist es nicht anders, Detailfragen verstellen den Blick aufs große Ganze.

Und darum muss es gehen: Die durch Prof. (HSG) Dr. Sascha Spoun und Holm Keller angestoßenen Veränderungen basieren auf einem grundlegend anderen Menschenbild. Laut diesem müssen Studenten zu ihrem Glück gezwungen werden (um nachher die Gesellschaft retten zu können) und Wissenschaftler durch umfangreiche Reglementierung und Kontrolle in Forschung und Lehre getrieben werden (zu Weltruhm). Wer dieses Menschenbild adaptiert, kann damit auch die Veränderungen als notwendige Bausteine nachvollziehen. Wem dieses Menschenbild fremd ist werden die viel gepriesenen Verbesserungen jedoch ein Schritt in die völlig falsche Richtung sein.

Was hat die Kritik der letzten Jahre also erreicht?

Eine Hochschulleitung, die fester im Sattel sitzt als je zuvor (die Angst vor dem universitären Exitus lässt grüßen). Sie hat ihre Ziele durchsetzen können und in zentralen Fragen keine Abstriche hinnehmen müssen. Mit dem entsprechenden Druck wurde alles erreicht. Die Institution ist nun fast vollständig leuphanisiert. Die Studentenschaft hat komplett durchgewechselt. Es gibt unzähliges neues Personal, welches jeweils kein lokales Wissen und keinen Erfahrungsschatz mit dem Leitungspersonal hat. Auch fehlt oft die Unabhängigkeit, um Grundsatzkritik zu äußern - befristete Verträge und finanzielle Abhängigkeiten sind die Stichpunkte. Die Gremien sind fast vollständig um Kritiker bereinigt, der ASTA auf "Dialogkurs", die Verwaltung umgekrempelt und in Schlüsselpositionen mit Gefolgsleuten besetzt. Bis auf Einzelpersonen scheint niemand mehr grundsätzliche Fragen aufzuwerfen.

Und dann wäre da noch LeuphanaWatch. Unser Team legt den Finger in offene Wunden und prangert Missstände an. Ein letzter Außenposten, auf den sich kritische Geister zurückgezogen haben. Uns gelingt es nicht, quasi nebenbei die oft angemahnten, ausgefeilten Alternativkonzepte vorzulegen. Aber wir zeigen auf, wo Handlungsbedarf besteht - immerhin. Keine Frage, damit kommen wir an. Unter den im letzten Jahr durchschnittlich 500-600 Besuchern täglich sympathisiert sicherlich ein größerer Teil mit unseren Positionen. Wir werden gelesen, sind öffentlich wahrnehmbar.

Ab heute möchten wir nicht länger als stabilisierendes Korrektiv und zugleich Feigenblatt bereitstehen. Mit unserem Schritt möchten wir einen ungeschönten Blick ermöglichen. Auf eine Institution, die sich im aktuellen "Bildungsmarkt" einigermaßen passabel, zumindest aber Aufsehen erregend schlägt. Aber die sich gleichzeitig des Kerns dessen entledigt hat, was Universität ausmachen sollte: der Förderung des freien, kritischen und von ökonomischen Zwängen losgelösten Denkens über selbstkonstruierte Grenzen hinaus. Zum Wohle der Allgemeinheit und nicht einzelner Interessen(gruppen) versteht sich.

Wir danken allen Lesern und Kommentatoren, die uns in den vergangenen Monaten die Treue gehalten haben. Das gesamte Team von LeuphanaWatch wünscht Euch und Ihnen für die Zukunft alles Gute. Der Universität in Lüneburg und ihren Mitgliedern wünschen wir die richtigen Erkenntnisse und den Mut, eigene Konsequenzen daraus zu ziehen.

Wir sind dann mal weg!

Samstag, 31. März 2012

TV 2.0 und Ballhaus: Fragen über Fragen

Vor rund einem Jahr fragte LeuphanaWatch nach Freundschaftsdiensten beim Fernsehen 2.0. Zuletzt war das Inkubatorprojekt bei uns etwas ins Hintertreffen geraten. Diesen Fehler möchten wir korrigieren und ein paar Fragen in den Raum stellen.

Wo ist Kenup und wo ist die Plattform für Studenten?
Vor vielen Monaten hieß es:
Keller sieht daher zwei für Medienunternehmen zentrale Forschungsfragen: Wie können Nutzer in die Produktion eingebunden werden? Und welche Geschäftsmodelle lassen sich entwickeln?
Mit dem Sender, der im Oktober (2010, LW) unter dem Namen Kenup starten soll, geht Keller dem nach. (1)
Auch für Studenten versprach Keller vollmundig:
Dafür wird eine Sendeplattform mit Studios und kompletter Technikausrüstung gebaut, die auch für studentische Projekte offen ist. (2)
Wo ist der Sender? Was ist mit der Plattform, die Keller im Interview mit der univativ versprochen hat? Und wo sind die Millionen, die in das Projekt fließen? Was ist damit bislang passiert?

Wo ist Projektleiter Michael Ballhaus und wo sind die angekündigten Projekte?
Gastprofessor Ballhaus wollte sehr aktiv werden:
"Prof. Ballhaus wird auf dem Gebiet der Nachhaltigkeitsforschung ein Projekt gemeinsam mit Wissenschaftlern der Leuphana vorantreiben. Seine im Jahr 2007 ins Leben gerufenen Umweltinitiative „The Future is now“ e.V. verfolgt das Ziel, mit Hilfe kurzer Filme breite Aufmerksamkeit für ein klimabewusstes Verhalten zu erreichen. Ein Team aus fünf Nachwuchswissenschaftlern der Leuphana wird ihn künftig dabei unterstützen, die Themen und Skripte für die Kurzfilme fachlich überprüfen und Vorschläge zur Umsetzung und Weiterentwicklung der Filmreihe entwickeln." (3)
War Michael Ballhaus jemals in Lüneburg, abgesehen vom Pressetermin? Lehrveranstaltungen macht er derzeit scheinbar nicht. Wo ist denn die Zusammenarbeit mit der Nachhaltigkeitsforschung? Haben die überhaupt schon mal was von Ballhaus gehört? Wo sind die neuen Verwertungsmodelle, wo die neuen Formate und Technologien. Das Projekt leitet Ballhaus doch nun schon seit über einem Jahr.
Und weiter: Wo sind die neuen Filme auf der Webseite www.the-future-is-now.de? Dort stehen seit einem Jahr die gleichen Filme zur Verfügung, teils aus dem Jahr 2008. Verändert hat sich seit dem rein gar nichts. Was hat das Projekt bitte mit der Region und der Förderung ihrer Wirtschaft zu tun?

Hat Michael Ballhaus überhaupt Zeit für "sein" Inkubatorprojekt?
Tatsache jedenfalls ist, dass Gast-Professor Ballhaus zugleich an 2 weiteren Universitäten beschäftigt ist. Das ist zumindest im Internet nachzulesen. Ballhaus hat, in Lüneburg hat davon nur niemand Kenntnis genommen, in München die Leitung einer Abteilung der Hochschule für Film und Fernsehen übernommen. Auf deren Webseite steht es schwarz auf weiß:
Zum Wintersemester 2010/ 2011 hat Prof. Ballhaus an der Hochschule für Fernsehen und Film München die Abteilungsleitung der Abt. VII, Kamera übernommen. (4)
Dazu kommen die Verpflichtungen an der Hamburg Media School, wo Ballhaus seit 2009 die Kameraabteilung des Studiengangs Film leitet.
Der bedeutendste und international erfolgreichste Kameramann Deutschlands, Michael Ballhaus, wird ab dem 1. Oktober 2009 die Kameraabteilung des Studiengangs Film an der HMS leiten. (5)
Ist es zeitlich überhaupt möglich, dass Ballhaus zusätzlich noch im Inkubator wirkt? Oder wollte sich die Leuphana Universität Lüneburg wieder einmal nur mit einem großen Namen schmücken?

Fungierte der Name Ballhaus aus Türöffner für Timon Beyes?
Sollte Michael Ballhaus tatsächlich gar nicht ernsthaft involviert sein (wie es den Anschein hat), dann wird es interessant: Timon Beyes leitet dann quasi allein das Moving Image Lab / Fernsehen 2.0 (6). Professor wurde er aber erst, als er das TV2.0 und die Millionen Forschungsgelder längst eingesackt hatte. Immerhin ist um das Fernsehen 2.0 mittlerweile ein ganzer Inkubatorschwerpunkt "Digitale Medien" (7) entstanden, das "Team" von Beyes hat beachtliche Größe (6). Erstaunlich, dass jemand ohne Professur so fantastisch ausgestattet wird. Vielleicht war dazu der Name Ballhaus nötig, um dem mit Sascha Spoun und Holm Keller gut bekannten Beyes ein millionenschweres Forschungsprojekt "genehmigen" zu können? Bei einem Promi wie Ballhaus entstehen vielleicht weniger Fragen. Ob es auch ohne Ballhaus für den Inkubator gereicht hätte?

LeuphanaWatch wartet auf Antworten.

Quellen:
(1) http://www.zeit.de/2010/30/Privat-TV-Lueneburg#comments
(2) http://www2.leuphana.de/univativ/?p=336
(3) http://www.leuphana.de/aktuell/leuphana-magazin/ballhaus-wilson.htm
(4) http://www.hff-muenchen.de/studium/3/abteilungsleiter/index.html
(5) http://www.hamburgmediaschool.com/newsundpresse/pressemitteilungen/mitteilungen/2009/06/MichaelBallhaus.php
(6) http://www.leuphana.de/inkubator/digitale-medien/moving-image-lab/team.html
(7) http://www.leuphana.de/inkubator/digitale-medien.html

Kein Hauch von 68: Auswege (3/3)

LeuphanaWatch beendet mit einem letzten Teil seine Reihe über den Essay "Kein Hauch von 68" [1] der Senatoren Maset und Steinert im Magazin "Kultur & Gespenster" [2]. Sie unternehmen einen "zweistimmigen Versuch zur unlustigen / irrsinnigen / wahnwitzigen Lage an den deutschen Hochschulen" [1] am Beispiel der Leuphana Universität Lüneburg. LeuphanaWatch berichtete bereits über die von den Senatoren beobachtete Übernahme der Hochschulen und über Leuphana als Viagra der Exzellenzinitiative. Im letzten Teil der Reihe geht es nun um Fluchträume für kritische Geister und die Frage, wie fatale Entwicklungen korrigiert werden können.

Auswege

Die Senatoren beschreiben zunächst noch einmal den derzeitigen Gefühlszustand vieler Menschen in der deutlichen Hochschullandschaft und dessen Konsequenzen.
"Diese Handlungsohnmacht lässt selbst gewillte Geister in Reglosigkeit erstarren. So bleibt der Sturm auf die Ministerien bisher aus und die inhaltlich-politischen Aushandlungen finden zugunsten ökonomischer Lösungen nicht statt. Die eigene Unsicherheit und die fremde Übermacht sind mittlerweile so groß, dass Wissenschaftler zu bloßen Theoretikern mutieren, die kritische Inhalte als Lehrstoff rezitieren, aber nicht mehr auf die Handlungsebene übertragen. Das macht geistige Errungenschaften gleichgültig und zu konsumierbaren Häppchen. In den Seminarräumen lernen die Studierenden, wie sich der praktische Anspruch in Luft auflöst, während Diskurse auf Aussagen fremder Köpfe beschränkt bleiben. Intellektualität kann hier verbreitet nur noch in einem mentalen Untergrund überleben, da sie sonst von den »Weltgestaltern« als »kreatives Potenzial« technokratisch erfasst und outputmäßig vernutzt wird." [3]
Maset und Steinert verweisen auf "Nicht-Sichtbarkeit" und "Nicht-Identifizierbarkeit" als mögliche Handlungsmaximen. Darin sehen sie für Intellektuelle im aktuellen Umfeld die einzige Überlebenschance [3]. Perspektivisch kann das jedoch nicht zufrieden stellen. Es sind deshalb Lösungen gefragt. Die Verfasser entwickeln daher fünf Ansätze. LeuphanaWatch stellt sie vor:

1) Wissenschaft zurück in die Gesellschaft
Pierangelo Maset und Daniela Steinert fordern, dass Wissenschaft (wieder) zu einem gesamtgesellschaftlichen Thema werden muss. Dabei sei die Verankerung in der Gesellschaft zu thematisieren.
"Um Hochschulen nicht zur Zuchtanstalt einer gleichförmigen Elite verfallen zu lassen, muss die Diskussion um die gesellschaftliche Verankerung von Hochschulen zwischen Staatsferne, Autonomie und Wirtschaftseinfluss aufgenommen werden – um sie denjenigen zu entreißen, die mit dem Kampfbegriff der Autonomie die Angst vor staatlichen Übergriffen schüren, um sich selbst Vorteile zu verschaffen." [3]

2) Worthülsen enttarnen, neue Begriffe und freie Organisationen schaffen
Eine besondere Bedeutung wird der Entzauberung der leuphanisierten Sprache beigemessen. Dabei muss es darum gehen, angemessene Begriffe zu finden. Sie sollen Ziele beschreiben und nicht verschleiern.
"Fight Newspeak! Was an den Hochschulen (und im gesamten Bildungswesen) passiert, müssen wir neu zu benennen lernen: Die Vokabeln des New Management sind sprachkritisch auseinanderzunehmen. Neue Begriffe sind zu finden, um die Verhältnisse zu beschreiben und für neue Aushandlungen zu öffnen." [3]
Die Verfasser denken an Begriffe wie "Neuausrichtung", die beispielsweise mit "Übernahme" übersetzt werden könnten [4].

3) Fluchtlinien für den Geist
Widerständigem Handeln muss ein Sinn zugeordnet werden. Er muss über ein in der aktuellen politischen Lage absehbares Scheitern hinausreichen.
»Solange der Widerstand keine absehbaren Chancen hat, faktisch neue Bedingungen zu setzen, die das politische System zur Veränderung zwingen, solange es allenfalls das System zwingt, auf die in ihm eingebauten Zwangsmechanismen zurück zu greifen, stehen alle Aktionen in der Ambivalenz zwischen Willensbekundung und Systemveränderung. In der gegenwärtigen Phase kommt es darauf an, diese Ambivalenz zu stabilisieren und ihr dadurch ein Veränderungspotential abzugewinnen. Die Ambivalenz stabilisieren: das bedeutet, den Widerstand mit einem Selbstbewusstsein führen und das Widerstandspotential mit einem Selbstbewusstsein ausstatten, das es erlaubt, die Bereitschaft zum Widerstand auch über dessen voraussehbares Scheitern hinweg zu retten.« [5]
Ei "noch in den Spiegel schauen können" könnte als Anstoßmotivation herhalten.

4) Das Außen suchen
Als Schlüssel zur Lösung der verfahrenen Lage sehen Maset und Steinert den Weg in die Öffentlichkeit. Nur durch diese könne gesellschaftlicher Druck entstehen, der von außen Veränderungen erzwingt.
"In einem geschlossenen, dogmatischen System führt nur der Weg in die Öffentlichkeit zu einem Wandel, da jeder interne Partizipationsversuch an den Machtstrukturen scheitert. (...) Denn die größte Chance liegt in externem – politischem und zivilgesellschaftlichem – Druck: Die Totalität des Systems wird untergraben, indem die Marke Schaden zu nehmen droht. Auf diesem Weg ist es möglich, den Profilierungszwang gegen sich selbst auszuspielen." [6]

5) Neue Formen von Meuten und Schwärmen
"Arm, aber sexy!" Was für die Hauptstadt gilt, könnte auch an Hochschulen zur Leitidee werden. Das mag überraschen, aber die Verfasser meinen:
"Unter den derzeitigen Umständen sollten die Bildungsinstitutionen lieber offensiv das Hohelied der Armut anstimmen und sich von der hinterhältigen, geistestötenden und spießigen Unternehmens- und Exzellenz-Ausrichtung abwenden. Denn diese ist nichts anderes als eine Sackgasse. Außerdem: Ein guter, geistreicher Satz pro Semester ist wichtiger als das Drittmittel-Geflacker der Technokraten, aus deren Projekten nur in den seltensten Fällen interessante Forschung entsteht." [7]
Ein geändertes Verhältnis zum Streben nach Drittmitteln reicht allerdings nicht aus. Maset und Steinert fordern mehr, nämlich Eigeninitiative. Was innerhalb des Bildungssystems nicht mehr möglich sei, müsse temporär außerhalb organisiert werden.
"Wo es nötig ist, den Geist zu retten, müssen sich Forschende, Lehrende und Studierende sowie Schüler und Menschen aller Gesellschaftsbereiche zusammenschließen, um in freien Organisationen das wiederzubeleben, was das Bildungssystem einzulösen nur noch verspricht: einen partizipativen, offenen und diskursiven Raum, der Bewusstsein ermöglicht." [8]

Fazit:
Mit all ihren Vorschlägen möchten die Senatoren dabei helfen, ein Widerstandsgefühl zu schaffen. Dieses ist schließlich Grundvoraussetzung dafür, dass nötige Veränderungen überhaupt thematisiert werden. Und die Möglichkeit von Veränderungen ist Anlass zu Hoffnung. Denn:
"Ein Zurückfinden zur Wissenschaft in ihrer unteilbaren Eigenschaft als kritische Praxis bietet den Boden für die Überwindung der unternehmerischen Hochschule." [8]

Nachweise
[1] Pierangelo Maset / Daniela Steinert: Kein Hauch von 68, in: Kultur & Gespenster, Ausgabe 13 "Stabile Seitenlage", Winter 2012, S. 65 - 83
[2] http://www.kulturgespenster.de
[3] Seite 81
[4] Seite 81 f.
[5] Worte der "Politischen Universität Frankfurt von 1968", zitiert nach Seite 82
[6] Seite 82
[7] Seite 82 f.
[8] Seite 83

Freitag, 30. März 2012

Leuphana-Denkerei: unter Freunden

Die Leuphana Universität Lüneburg kooperiert mit der Denkerei, dem Amt für Arbeit an unlösbaren Aufgaben und Maßnahmen der hohen Hand in Berlin. Die derzeit scheinbar recht einseitige Nutzenverteilung dieser Kooperation ist überaus pikant. Über den Kooperationsvertrag entschied allen Anschein nach das Präsidium. Senat und andere Gremien wurden erst nach Abschluss informiert (1). Vizepräsident Holm Keller soll eine entscheidende Rolle bei der Einfädelung des Deals gespielt haben (2). Und das, wo im Personal der Denkerei alte Bekannte von Keller anzutreffen sind! Es ist eine Konstellation, die für Gesprächsstoff sorgen könnte. Dabei ist es nicht der erste Fall, in dem personelle Überschneidungen ans Licht kommen.

Denkerei-Denker und Philosoph Peter Sloterdijk leitet die staatliche Hochschule für Gestaltung (HfG) in Karlsruhe (3). Diese ist mit dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) eng verbandelt, welches von Denkerei-Kollege Peter Weibel geleitet wird (4). Beide Personen sind keine Unbekannten, waren gemeinsam mit Vizepräsident Holm Keller bei der Bewerbung der Stadt Karlsruhe zur europäischen Kulturhauptstadt 2010 aktiv (5). Keller holte sie dann auch in die Berufungskommission für Daniel Libeskind an die Leuphana Universität Lüneburg, als zuverlässige Personen nötig waren (ohne Libeskind kein Audimax). Der ASTA schrieb dazu:
"Alle drei externen Mitglieder (dieser Berufungskommission, LW) haben schon mit Daniel Libeskind gemeinsame Projekte durchgeführt: Der Philosoph Peter Sloterdijk mit Spoun, Keller und Libeskind an der Uni St. Gallen. Peter Weibel mit Keller und Libeskind bei der Bewerbung von Karlsruhe zur Kulturhauptstadt 2010. (...) (6)"
Karlsruhe scheint die entscheidende Schnittstelle zu sein. An der HfG betrieb auch Daniel Libeskind ein "Research Studio" (7) und war dort Professor (8). Es erscheint wahrscheinlich, zumindest nicht ausgeschlossen, dass Keller aus seiner Zeit in Karlsruhe auch Ober-Denker Bazon Brock kennt. Der leitet dort einen Studiengang und bildet mit Sloterdijk und Weibel zusammen "Profi-Bürger" aus (9, 10). Auch Denkerei Mitgründer Wolfgang Ullrich hat eine Professur an der Hochschule in Karlsruhe (11).

Fast entsteht der Eindruck, ein paar untereinander bekannte Personen hätten sich gemeinsam mit ihrer Denkerei nach Berlin aufgemacht. Als Privatvergnügen quasi, alles selber und privat bezahlt (10). Aber warum dann die Kooperation mit der Leuphana Universität Lüneburg und nicht mit der Hochschule in Karlsruhe? Die hätte sich doch angeboten, wo das Spaß-Amt die Ergänzung eines ihrer Studiengänge sein soll. Vielleicht sieht man in Karlsruhe so viel Überschneidung zwischen öffentlichen Funktionen und privatem Vergnügen nicht so gern? Hinzu kommt, dass Bazon Brock nach eigener Aussage bislang immer nur Geld von "ein paar Freunden" bekommen hat (10). Die Leuphana Universität Lüneburg mit ihrer scheinbar indirekten finanziellen Unterstützung der Denkerei erwähnte Brock in einem Interview zur Eröffnung des Amtes nicht (10). Warum?

LeuphanaWatch fragt: Ist Bazon Brock da ein Fehler unterlaufen und er hat die Kooperation glatt vergessen (obwohl sie sogar an der Fassade in Berlin steht)? Vielleicht zählt die Leuphana Universität Lüneburg jetzt auch schon zum Freundeskreis? Oder wird die Unterstützung gar als persönlicher Beitrag von Holm Keller zum Projekt gewertet?

Belege:
(1) Das legt das Protokoll des Senats vom 16.11.2011, Punkt 3.7 nahe.
(2) LeuphanaWatch dankt für den Hinweis. Keller trat auch bei der Eröffnung für die Leuphana Universität Lüneburg auf (siehe http://www.bazonbrock.de/werke/detail/?id=2575).
(3) http://de.wikipedia.org/wiki/Staatliche_Hochschule_f%C3%BCr_Gestaltung_Karlsruhe
(4) http://de.wikipedia.org/wiki/Zentrum_f%C3%BCr_Kunst_und_Medientechnologie
(5) http://www1.karlsruhe.de/Aktuell/News05/jury_2010.htm
(6) http://www.asta-lueneburg.de/fileadmin/images/asta2_0/sonderausgabe_campusentwicklung_online.pdf - Seite 32
(7) http://www.hfg-karlsruhe.de/features/daniel-libeskind-research-studio.html
(8) http://daniel-libeskind.com/daniel
(9) http://de.wikipedia.org/wiki/Bazon_Brock
(10) http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/1622358/
(11) http://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Ullrich_%28Kunsthistoriker%29

Mittwoch, 28. März 2012

Leuphana-Denkerei: einseitige Kooperation

Zum Jahresanfang berichtete LeuphanaWatch über die "Denkerei / Amt für Arbeit an unlösbaren Aufgaben und Maßnahmen der hohen Hand" und warf einige dringliche Fragen auf. Beantwortet sind sie nicht, aber es gibt neue. Sie rücken das Spaß-Amt nicht gerade in besseres Licht.

Im Dezember 2011 fand die Eröffnung statt, von der einige Bilder im Internet verfügbar sind (1). So zerren beispielsweise zwei Männer an einem verknoteten Seil. Ein dritter versucht mit einem Schwert das Seil zu durchtrennen. Ein Mann mit schwarzem Rollkragenpullover, Polizeimütze und (scheinbar?) einem umhängenden Holzkreuz filmt angestrengt (2). "Experimentelle Geschichtsschreibung" nennen das die "Denker vom Dienst". Ist es der wissenschaftliche Anspruch der Leuphana Universität Lüneburg? Immerhin geht sie in ihrer Denkerei einer weltbewegenden Frage nach: "Konnte Alexander der Große den gordischen Knoten mit einem Schwert durchschneiden?" (2) Anwesend sind auch einige "Größen" aus Lüneburg, wie die Fotos belegen (1).

Jeden Monat eine Veranstaltung, das scheint das Motto des "Amtes für Arbeit an unlösbaren Aufgaben und Maßnahmen der hohen Hand" zu sein. Januar: "Imaging Sciences" mit Ausstellung "Bombs and Candies." Handgranaten mit Bonbons. Februar: "literarische Aktion" im "Schaltjahr der Theorie-Geschichte". März: "Bewegungen gen Mitternacht" (3). Hat schon Personal der Leuphana Universität Lüneburg eine Veranstaltung angeboten? Bislang nicht. Werden die Veranstaltungen auf der offiziellen, leuphanisierten Webseite der Denkerei (4) beworben? Bislang nicht. Auch in mystudy finden sich keine Hinweise. Veranstaltungen der Denker vom Dienst in Lüneburg sind bislang ebenfalls unbekannt (5).

Es stellt sich dringend die Frage, welchen Nutzen die Leuphana Universität Lüneburg bislang von ihrer Kooperation mit der Berliner Denkerei am Oranienplatz hat. Da hilft es auch nicht, dass über mystudy auf die Januar-Veranstaltung in Berlin hingewiesen wurde (6). Kann eine eMail nur zwei Tage vor dem Termin der über zweihundert Kilometer entfernten Veranstaltung mehr als eine Alibifunktion erfüllen? Vielleicht mag der reiselustige Holm Keller kurzfristig in die Hauptstadt fliegen. Für alle Normalsterblichen ist nicht einmal mehr der Sparpreis der Bahn zu buchen.

Im Senat hieß es zu den Vorteilen für die Leuphana Universität Lüneburg im Herbst 2011:
"Die Kooperation (...) eröffnet (...) die Möglichkeit, in Veranstaltungen in der Bundeshauptstadt auf Arbeiten unserer Universität aufmerksam zu machen. Sie ermöglicht den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unserer Universität darüber hinaus, gemeinsame Forschungs- und Transferprojekte auf den Weg zu bringen. (7)"
Bislang ist davon nichts zu sehen. Welche Verpflichtungen die Leuphana Universität Lüneburg übernommen hat, wurde erst aus der Antwort auf eine darauf folgende Anfrage deutlich:
"(Name entfernt, LW) berichtet, dass er aus vertraulichen Quellen erfahren habe, dass im Rahmen der Eröffnung der Leuphana Repräsentanz „Die Denkerei“ in Berlin drei Stellen eingerichtet wurden und fragt in diesem Kontext an, ob diese Stellen durch die Leuphana Universität Lüneburg alimentiert werden?
P Spoun antwortet, dass die Leuphana Universität keine Stellen in der Denkerei einrichtet. Die Leuphana Universität zahlt für die Nutzung der Räumlichkeiten in Berlin keine Miete, übernimmt aber als Gegenleistung die Verwaltung der Drittmittel für das „Amt für Arbeit an unlösbaren Problemen und Maßnahmen der hohen Hand“. (8)"
Die Leuphana Universität Lüneburg richtet also keine Stellen in der Denkerei ein. Werden denn in Lüneburg neue Stellen nötig? Unbeantwortet! De facto erspart die Leuphana Universität Lüneburg jedenfalls der Denkerei wohl nicht unerhebliche Personalkosten. Und das Amt für Arbeit an unlösbaren Aufgaben hat anscheinend einen weiteren, ganz entscheidenden Vorteil.
"Allerdings gibt die Lüneburger Hochschule nicht nur ihren guten Namen (...), sondern auch steuersparende Anerkennung: Durch den "Anschluss an die Leuphana" sei "die Gemeinnützigkeit des Amtes bekundet", erklärte Bazon Brock auf einer Internetseite. (9)"
Die "Denker im Dienst" der Denkerei am Oranienplatz scheinen also auch noch kräftig Steuern zu sparen, wenn die Informationen der HAZ stimmen. Für sie sind die Vorteile der Kooperation also ziemlich greifbar. Das Gegenteil ist für die Leuphana Universität Lüneburg bislang der Fall.

Belege:
(1) http://www.bazonbrock.de/werke/detail/?id=2575 / Für Fotos auf den Pfeil in der unteren, rechten Ecke klicken.
(2) http://www.bazonbrock.de/werke/detail/?id=2575§id=2270#sect
(3) http://www.bazonbrock.de/arbeit-an-unloesbaren-problemen/
(4) http://www.leuphana.de/denkerei
(5) mystudy enthält dazu keinerlei Hinweise. Auf der Webseite (4) ist nichts vermerkt.
(6) eMail vom 24.01.2012 "[Newsletter "Präsidium"] Veranstaltung in der Denkerei: Imaging Sciences"
(7) Protokoll des Senats vom 16.11.2011, Punkt 3.7
(8) Protokoll des Senats vom 07.12.2011, Punkt 4.2
(9) "Lüneburg hebt ab. Universität Leuphana lässt künftig in Berlin denken - während zu Hause die Korruptionsprüfer anklopfen", Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ), 26./27.11.2011, Seite 1

Dienstag, 27. März 2012

Die Leuphana-Audimax-Marke

Manchmal sind gar nicht viele Worte nötig, um den Sinn und die grundlegende Ideologie eines Projekts zu beschreiben. Die Beschreibung des im April stattfindenden Seminars "Landmark Architecture" von Holm Keller und Daniel Libeskind ist in dieser Hinsicht ein Glücksfall. Selten ist die Hauptfunktion des geplanten Audimax so klar dargestellt worden.
In den letzten Jahren wurden für verschiedenste Unternehmen und Institutionen „Leuchtturm-Gebäude“ errichtet - Gebäude mit eigenständiger Strahlkraft, oft nach Entwürfen namhafter Architekten. In der Regel beeinflusst ein derartiges Gebäude, spätestens mit der Inbetriebnahme, die Marke des Bauherrn bzw. Hauptnutzers. Auch das Zentralgebäude der Leuphana Universität ist ein großer öffentlicher Neubau, den unsere Universität errichtet in Zusammenarbeit mit der Europäischen Union, der Bundesrepublik Deutschland, dem Land Niedersachsen, Landkreis und Hansestadt Lüneburg, der evangelischen und katholischen Kirche sowie den jüdischen Gemeinden Niedersachsens. Es entsteht ein modernes nachhaltiges Universitätsgebäude mit überregionaler Bedeutung.

In diesem Seminar werden Studierende gemeinsam mit dem Architekten Daniel Liebeskind das Spannungsverhältnis von Institutionen- und Gebäudemarken anhand des Leuphana Zentralgebäudes beleuchten. Es werden die Erfolgspotentiale und Treiber der baulichen Markeninszenierung betrachtet, Zielgruppen zur Vermarktung von Architektur bestimmt, ein Marketing- und Merchandisingkonzept abgeleitet und zuletzt werden konkrete neuartige und zukunftsweisende Marketingmaßnahmen für öffentliche Großbauprojekte entwickelt.

Das Seminar richtet sich an Studierende, die konzeptionelle, gestalterische und praktische Fähigkeiten bündeln wollen. Gefordert werden Vorstellungsvermögen, Kreativität, Gestaltungswille und Teamgeist. Innerhalb des Seminars werden die Studierenden zielgruppenspezifische Marketingmaßnahmen für öffentliche Gebäude erarbeiten, Prototypen entwickeln und ihre Konzepte und Lösungen präsentieren. Dabei werden sie in ihrem kreativen Prozess von Daniel Libeskind und Holm Keller begleitet. Die Ideen und Konzepte des Seminars sollen in die Marketingaktivitäten zum neuen Zentralgebäude einfließen. (1)
LeuphanaWatch fragt: Hat eine Universität nichts besseres zu tun?

(1) https://mystudy.leuphana.de/personAnzeigen/?person_id=898

Samstag, 24. März 2012

Kein Hauch von 68: Viagra der Exzellenzinitiative (2/3)

LeuphanaWatch setzt seine Reihe über den Essay "Kein Hauch von 68" [1] der Senatoren Maset und Steinert im Magazin "Kultur & Gespenster" [2] fort. Sie unternehmen einen "zweistimmigen Versuch zur unlustigen / irrsinnigen / wahnwitzigen Lage an den deutschen Hochschulen" [1] am Beispiel der Leuphana Universität Lüneburg. LeuphanaWatch berichtete in der vergangenen Woche bereits über die von den Senatoren beobachtete Übernahme der Hochschulen. Dass beide Verfasser eine kritische Sichtweise haben dürfte hinlänglich bekannt sein. In dieser Woche steht daher mehr ihre Beobachtung der Situation an der Leuphana Universität Lüneburg im Fokus und weniger die Beurteilung selbiger. Es wird erneut versucht, durch Schlaglichter auf einzelne Passagen eine inhaltliche Annäherung an den Kern des umfangreichen Gesamttextes zu schaffen.

Das Viagra der Exzellenzinitiative
"Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich mitten auf einem Campus und sind umgeben von nagelneuen Luxuskarossen und eleganten Anzugtragenden, die mit einheitlichen Aktentaschen am makellos jungen Körper gen Hörsaal streben. Einlass auf dem Campus wurde Ihnen per identity card gewährt und beim Betreten des Hörsaals bekommen Sie nicht nur eine Gratis-Cola in die Hand gedrückt, sondern auch vor Beginn der Vorlesung einen bunten Werbespot aufs Auge.
Nun stellen Sie sich vor, dass diese verfilmte Satire (www.leuphana.de.vu) aus ursprünglich kritischer Feder stammt, aber vom amtierenden Präsidenten der Leuphana (Universität Lüneburg) als erfolgreiche >>virale Kommunikationsstrategie<< zugunsten der Bildungsanstalt gelobt wird. Vergegenwärtigen Sie sich, dass sich Menschen, die den Film als offizielles Hochschulmarketing interpretierten, locken ließen und sich erst daraufhin an der Hochschule bewarben. Wo befinden wir uns, dass eine solche Ironie das Versagen des deutschen Bildungssystems zugunsten elitärer Allüren dokumentiert?" [3]
Markanter lassen sich die Veränderungen der Leuphana Universität Lüneburg im Zuge der sogenannten "Neuausrichtung" - früher auch "Leuphanisierung" genannt - nicht darstellen. Diese Veränderungen verstehen Pierangelo Maset und Daniela Steinert "gemessen an diskursiven, demokratisch konstituierten Universitäten" als einen "Akt der feindlichen Übernahme." [3] Aber auf welchen Beobachtungen basieren ihre Beurteilungen und Analysen?

Die Senatoren weisen prominent auf das Spannungsfeld zwischen Freiheit und den vor allem organisatorischen Vorgaben der Leuphana Universität Lüneburg hin.
"Die Leuphana will eine wegweisende Einrichtung zur Gestaltung der Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts sein, eine Brutstätte von Exzellenz, eine Gemeinschaft, die im Zusammenhalt Großes erreichen will. Dem vermeintlich Freiheitlichen aber korreliert ein Fundament, welches reglementierende, außeruniversitäre Wertigkeiten in die Institution betoniert." [3]
Die vermeintlich freiheitliche Entwicklung wird in ein Zwangskorsett gezwängt. Die Persönlichkeit soll in mundgerechten Häppchen entwickelt werden. Die Vorgaben sollen "fehlerhafte" Entwicklungen verhindern und die Nutzung der Freiheit in eine festgelegte, eine "sinnvolle" Richtung lenken.
"Die emotional bindenden Kernbotschaften der Marke (Leuphana, LW) sprechen den Menschen individuell-persönlich an und erwecken den Schein einer freiheitlichen Selbstverwirklichung. Parallel dazu wird jedoch nicht nur die Zeit der Studierenden und Lehrenden durch getaktete Stundenpläne, überfrachtete Studiensysteme sowie ständige Leistungskontrollen rationiert und besetzt, sondern auch die Persönlichkeit als solche fest definiert: Kompetenzvorgaben zerteilen und reduzieren Menschen auf messbare >>skills<<, die in serviceorientierten und standardisierten Modulen erlernt werden." [4]
Die "Lenkung" der freiheitlichen Entfaltung sowohl von Studenten als auch von Dozenten sehen die Verfasser im Wesentlichen u.a. durch die Notwendigkeiten der Markenbildung begründet. Diese kann leicht scheitern, wenn zu viele Individuen ausscheren.
"(...) die gemeinsame Ausrichtung der Universitätsmitglieder [ist] Voraussetzung dafür, die Marke >>Leuphana<< einheitlich und somit glaubwürdig führen zu können. Die Achillesferse der unternehmerischen Hochschule ist somit der Spagat zwischen dem Versprechen einer persönlichen Entwicklung und der Notwendigkeit einer intakten Marke, alle Mitglieder müssen in den Kanon der propagierten Werte einsteigen." [4]
Um Probleme mit der aufwändig aufgebauten Marke Leuphana Universität Lüneburg zu vermeiden und die Zielsetzung der unternehmerischen Hochschule zu verwirklichen, findet eine grundsätzliche Wandlung des wissenschaftlichen Gemeinwesens statt.
"Die Hochschulleitung übernimmt weitestgehend die Handlungsmacht, macht den Fakultäten die bisherigen Hoheitsrechte wie beispielsweise Berufungen streitig, selektiert Fachbereiche nach Effizienzkriterien und zerstört durch den entstehenden internen Konkurrenzkampf die Wissenschaftsgemeinschaft." [5]
Im Sinne einer gezielten Steuerung von Entscheidungen muss auch die "Wunderwaffe" gesehen werden:
"Besonders kennzeichnend aber ist das Schüren der Angst vor einer Schließung der Universität. Diese Gefahr aber verleiht der Machtfrage messianische Züge." [6]
All dies kann nicht ohne Konsequenzen bleiben. Es wirkt sich auf dem Wege einer "weichen Steuerung" auf die Mitglieder der Hochschule aus.
"Die verfassungsrechtlich festgelegten Rechte und Pflichten der Freiheit von Forschung und Lehre werden dabei in der Praxis durch die informellen Regeln des Leistungsprinzips und der Gefolgschaft nach und nach außer Kraft gesetzt." [5]
Maset und Steinert wollen festgestellt haben, dass die Leistungskultur eindimensional auf das kapitalbringende Ergebnis ausgerichtet ist, aber als "System der Freiheit" umgedeutet wird [5]. Dieses vermeintlich freiheitliche System treibt absurde Blüten: Es führt zu einer Trennung zwischen den in Forschung und Lehre propagieren Inhalten und dem eigenen Handeln. Das verdeutlichen die Verfasser am Beispiel der Kunst an der Leuphana Universität Lüneburg.
"Was wird in einem System totaler Nutzbarmachung aus der Kunst? An der Leuphana entschwindet Kunst als kritische Bestandsaufnahme von Gesellschaft und Kultur zu einer Fata Morgana, was durch Begriffe wie >>Kreativitätswirtschaft<< (...) deutlich wird, in deren Wirrnissen sich auch viele der Lehrenden verstrickt haben." [6]
Als Beispiel verweisen Maset und Steinert auf einen Antrag auf Fördermittel des Innovationsinkubators, den LeuphanaWatch im vergangenen Herbst veröffentlichte. Weiter heißt es dann mit Bezug auf die Kunst, aber sicherlich mit einer auf andere Bereiche übertragbaren Bedeutung:
"Vorgeblich das Progressive propagiert, aber dann doch mitgeholfen, der (...) >>neoliberalen Invasion<< zum Erfolg zu verhelfen! (...) Die Doppelstrategie besteht darin, einerseits (...) als >>kritische Akteure<< mit avanciertem Bewusstsein aufzutreten, andererseits aber genau das mit zu fördern und zu verteidigen, was doch eigentlich im Zentrum ihrer Kritik stehen müsste." [7]
LeuphanaWatch meint: Es wäre interessant zu wissen, ob die Beobachtungen unabhängig von der persönlichen Bewertung von breiten Teilen der Leuphana Universität Lüneburg geteilt werden. Oder herrscht gar eine gänzlich andere Wahrnehmung vor und bereits die Beobachtungen sind Gegenstand des Streits zwischen den Fraktionen? Wie könnte eine gemeinsame Feststellung des Ist-Zustandes und der ablaufenden Mechanismen aussehen? Es sind solche Fragen, die zu beraten sein werden. Sonst wird es nicht gelingen auf eine Ebene der inhaltlichen Debatte zurückzufinden. Und die ist nach Monaten erbitterter Grabenkämpfe dringender denn je zu führen. Die Senatoren Maset und Steinert haben mit ihrem Diskussionsbeitrag einen Anstoß gegeben. Möge er aufgegriffen werden.

Im dritten und letzten Teil dieser Reihe geht es in der nächsten Woche um Fluchträume für kritische Geister und die Frage, wie fatale Entwicklungen korrigiert werden können.

LeuphanaWatch-Leseempfehlung:
Pierangelo Maset / Daniela Steinert: Kein Hauch von 68, in: Kultur & Gespenster, Ausgabe 13 "stabile Seitenlage", Winter 2012, S. 65 - 83 (erhältlich z.B. am Bahnhofskiosk, bei Unibuch, per online-Bestellung oder über die Fernleihe der Bibliothek)

Nachweise
[1] Pierangelo Maset / Daniela Steinert: Kein Hauch von 68, in: Kultur & Gespenster, Ausgabe 13 "Stabile Seitenlage", Winter 2012, S. 65 - 83
[2] http://www.kulturgespenster.de
[3] Seite 73
[4] Seite 74
[5] Seite 75
[6] Seite 78
[7] Seite 79